06.03.2020
LEHRTE (SR) Dass die Deutsche Bahn ihr Schienennetz für den Güterverkehr stärkt und dass das kein Lippenbekenntnis ist, soll die neue Schnellumschlaganlage in Lehrte unter Beweis stellen. Es soll die modernste in Deutschland werden und den Umschlag von Ladeeinheiten des Kombinierten Verkehrs, etwa von Containern, revolutionieren. Sie werden über kurze Strecken am Start- und Zielpunkt per Lkw befördert (Vor- und Nachlauf), während sie die Langstrecke auf der Schiene zurücklegen. Was den neuen MegaHub Lehrte auszeichnet, ist weniger die Dimension beim Umschlag, sondern dass dieser quasi megaschnell und -effektiv dank halbautomatisierter Hochleistungsportalkrane und einer vollautomatischen Sortieranlage mit selbstfahrenden, batteriebetriebenen Transportfahrzeugen (Fahrerlose Transportsysteme, FTS) abgewickelt werden soll. Bund und Bahn investieren dafür rund 170 Millionen Euro. Errichtet wird die Anlage für den Schnellumschlag auf 120 000 Quadratmetern Fläche in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Gelände des bisherigen Rangierbahnhofes und bildet damit einen zentral gelegenen Eisenbahnknoten mit Verbindungen in Richtung Hamburg, Berlin, Braunschweig, Hildesheim und Hannover. Die neue Schnellumschlaganlage in Lehrte gilt als Teil der chinesischen Wirtschaftsinitiative „neue Seidenstraße“, worüber die chinesische Regierung die Handelswege zwischen Europa und dem Fernen Osten miteinander verbinden will.
Das Wort Hub rührt von dem Betriebsverfahren Hub-and-Spoke her, dem Nabe- und Speiche-System. Statt die Züge mühevoll zu rangieren und sie so neu zusammenzustellen, laufen sie über Gleise (Speichen) in den MegaHub (Nabe) Lehrte ein und verlassen die Anlage nach dem Umladen beziehungsweise Umsteigen von Zug auf Zug wieder. Eintreffende Containerladungen werden von der Sortieranlage entsprechend ihres Zielorts neu auf Güterzüge verteilt. Nach dem Abladen durch den Portalkran wird die Ladung per führerlosem Transportfahrzeug zum Zielwagen befördert und von dort per zweitem Portalkran auf den Zug gesetzt. Das soll den Umschlag von Ladeeinheiten wie Containern zwischen Zügen und zwischen Straße und Schiene beschleunigen. Gegenüber dem Rangieren spart das Zeit, schafft Kapazitäten für die Be- und Entladung und senkt zudem die Lärmbelastung.
Von Lehrte aus bestehen unmittelbare Verkehrsanschlüsse an das überörtliche Straßen- und Autobahnnetz im Großraum Hannover. Daher wird mit dem MegaHub Lehrte auch ein Pilotprojekt für den Kombinierten Verkehr umgesetzt, um so den Verkehrsträger Schiene zu stärken und im Zuge des Klimaschutzes CO2-Einsparungen zu generieren. Jährlich sollen bis zu 384 000 Lkw-Fahrten eingespart werden. Der Probe- und Testbetrieb startete im Dezember 2019, der Umschlag soll im zweiten Quartal 2020 starten. Danach geht es mit einem Hochlaufbetrieb los und die Regelverkehre laufen an.
Mit vorbereitenden Baumaßnahmen wurde bereits 2013 begonnen. Der Startschuss für die umfangreichen Bauarbeiten im Bereich der zukünftigen Schnellumschlaganlage sowie auf dem Gelände des alten Rangierbahnhofs und bis hin zum Personenbahnhof, die teilweise unter rollendem Rad erfolgten, fiel mit dem symbolischen Spatenstich im Mai 2018. Den Kern des Projektes bildet der Bau von sechs Umschlaggleisen sowie einer vollautomatischen Sortieranlage mit fahrerlosen, batteriebetriebenen Transportfahrzeugen. Hinzu kommt die Errichtung von – in der ersten Baustufe zunächst drei – computergesteuerten Portalkranen mit einer Höhe von knapp 20 Metern und einem Gewicht von rund 400 Tonnen, die auf der rund 800 Meter langen Kranbahn eingesetzt werden und mit deren Hilfe die Ladung in Querrichtung zwischen den Güterzügen sowie zwischen Schiene und Straße umgeschlagen werden. Die Portalkrane überspannen im Endzustand des Terminalausbaus mit rund 80 Metern die Sortieranlage, sechs Umschlaggleise sowie drei Abstellspuren und eine Ladespur. Für deren Tiefgründung musste schweres Gerät anrücken und jede Menge Beton aufgewendet werden, um später die Lasten tragen zu können.
Zu den weiteren Bauaufgaben gehört als letzte von drei Inbetriebnahmestufen der Austausch von 17 Weichen, die umverlegt werden müssen. Auch das Gleis samt Planumsschutzschicht wird auf 3,5 Kilometern erneuert und tonnenweise Schotter für das Gleisbett der Zufahrtsgleise aufgebracht. Durchzuführen sind 24 Pressungen für den Kabeltiefbau. Kabelkanäle sind auf einer Streckenlänge von fünf Kilometern und Kabel selbst auf einer Strecke von 20 Kilometern zu verlegen. Erneuert werden außerdem 50 Kabelaufbauschächte. Für eine reibungslose Koordination zwischen dem Stellwerk und den Kranen sowie für einen sicheren Betrieb wird neue Leit- und Sicherheitstechnik installiert. Das beinhaltet eisenbahntechnische Ausrüstung wie Oberleitung, Beleuchtung durch 22 Flutlichtmasten mit einer Lichtpunkthöhe von 35 Metern, Weichenheizungen, Telekommunikationsanlagen sowie Videoüberwachung. Errichtet werden müssen die zugehörigen Hochbauten, wie ein dreigeschossiges Terminalgebäude und eine Batteriewechselhalle für die FTS. Hinzu kommen Verkehrsanlagen sowie umfangreiche Park- und Vorstauflächen für Lkw. Nötig sind außerdem Erweiterungen und Anpassungen an die bestehende Eisenbahninfrastruktur im Eisenbahnknoten.
Die Baudurchführung der einzelnen Maßnahmen wurde unter Berücksichtigung der vergaberechtlichen Maßgaben vornehmlich an mittelständische Unternehmen wie Albert Fischer GmbH aus Elze vergeben. Der auf Bahnbau spezialisierte Betrieb kümmert sich zusammen mit dem Arge-Partner Depenbrock im Zuge von Los 9.4 um die Gewerke rund um den Gleis-, Tief- und Straßenbau. Ihnen obliegt auch der Bau einer Wartungshalle und von Verwaltungsgebäuden. Konkret sind von ihnen 3000 Meter Entwässerungsleitungen zu legen, 100 000 Kubikmeter Boden zu bewegen, 30 000 Quadratmeter Betonoberflächen zu befestigen und 1600 Meter Kranbahnbalken mit zugehöriger Tiefgründung zu errichten. Damit keine Flüssigkeiten mit wassergefährdenden Stoffen aus den Ladeeinheiten ins Erdreich gelangen können, liegen die einzelnen Umschlaggleise auf insgesamt 660, jeweils rund 23 Tonnen schweren Beton-Gleistragwannen, die mit der Entwässerung verbunden sind.
Bahnbauspezialist Albert Fischer setzt für die Bewältigung der Aufgaben rund um das neue Gleisnetz mehr als 40 Facharbeiter und einen umfangreichen Maschinenpark ein. Besonders gefordert ist dabei ein neuer Cat Zweiwegebagger M323F. Diesen erhielt das Unternehmen von der Zeppelin Niederlassung Hannover und ihrem leitenden Verkaufsrepräsentanten Harald Koschny. Die Entwicklung dieses Baggers wurde bereits vor der Zulassung als Zweiwegebagger von der Albert Fischer GmbH begleitet. Hebeversuche mit vergleichbaren Baggern wurden im Zusammenhang mit der Albert Fischer GmbH durchgeführt. Einer der ersten zugelassenen Cat Zweiwegebagger M323F wurde in Absprache mit der Zeppelin Niederlassung Hannover als Versuch für einige Wochen auf der Baustelle in Lehrte eingesetzt. Der Baggerfahrer Dietmar Machner durfte diesen Bagger testen und war begeistert. Nach Abschluss der Testphase war er überzeugt von der Technik und konnte seine Begeisterung auch seinem Firmenchef Albert Fischer vermitteln, der immer ein offenes Ohr hat, wenn Mitarbeiter gute Vorschläge machen.
Seit der Baumaßnahme zählt die Albert Fischer GmbH nun auch den ersten Cat Zweiwegebagger M323F zu ihrem Maschinenpark. Neu ist an dem Cat M323F dessen hydrostatischer Schienenradantrieb an beiden Gleisachsen. Hierbei treiben hydraulisch betriebene Motoren die Schienenführungsräder direkt an. Daraus resultiert eine hohe Bodenfreiheit, wie sie die auf dem Markt bestehende Technik nicht bieten kann. Denn dort erfolgt der konventionelle Antrieb sowie das Bremsen im Gleisbetrieb über die Reifen des Baggers auf die Schienen. Doch der hydrostatische Schienenradantrieb hat sich auf der Baustelle als ein unübersehbarer Vorteil herauskristallisiert, da die Umschlaggleise in den Gleistragwannen mit Gitterrosten ausgestattet werden, deren Oberkante gleich Oberkante Schiene ist. Jeder andere Zweiwegebagger würde sie beim Überfahren beschädigen, aber dank des hochgesetzten Schienenradantriebs kann der Cat M323F problemlos darüber hinwegrollen: „Herkömmliche Technik hätte die Roste kaputtgemacht, weil sich deren Befestigungen beim Darüberfahren lösen würden. Dank dem Cat Bagger stehe ich aber höher und die Roste nehmen keinen Schaden. Wir konnten nur wegen dem Zweiwegebagger hier arbeiten und die Gitter verfahren. Durch die höher stehenden Räder wird auch sonst verhindert, dass sich Kontakte im Gleis verbiegen. Ich kann damit problemlos über Weichen fahren und muss nicht mal meine Geschwindigkeit drosseln im Gegensatz zu anderen Geräten, wenn dann ein Bagger mit nur maximal zehn km/h bewegt werden darf“, führt Dietmar Machner aus.
Der Cat M323F musste im Zuge der Tiefbauarbeiten zig Materialtransporte übernehmen. Er lieferte die Roste mit seiner Palettengabel. Darüber hinaus musste er die 120 Meter langen Schienen unter der Kranbahn durchziehen. Befördern muss er aber auch Betonteile, insbesondere Kabelschächte und -ringe sowie Aushubmaterial. Bis zu drei Waggons gleichzeitig kann Dietmar Machner mit seinem neuen Zweiwegebagger ziehen. Damit der Bagger solche Trailer mitführen kann, erhielt er zu diesem Zweck eine Waggonbremsanlage und eine Schleppstange. Die gesamte Zuglast beträgt 220 Tonnen.
Eine Vielzahl an Aufgaben auf der Baustelle erforderten Anbaugeräte wie einen Löffel und ein Schotterstopfgerät. Auch einen Sauger und einen Rotator setzt der Maschinist ein, wenn bei alten Entwässerungsschächten für den Umbau der alte Schotter herausgeholt werden muss, was sonst kein anderes Gerät übernehmen kann. Selbst das Arbeiten während des Zugbetriebs am Nachbargleis im Lichtraumprofil stellt für das Bahnbauunternehmen durch den Cat M323F keine Einschränkung dar. Dank des kompakten Aufbaus und der Heckausladung von 1 575 Millimetern kann der Schienenverkehr auf dem Nachbargleis problemlos weiterlaufen, wenn dazu die Schwenkbegrenzung eingeschaltet ist. Andere Bagger müssen sich dagegen jedes Mal in die Ausgangsposition zum Geradeausfahren ausrichten und dürfen dann nicht weiterarbeiten, wenn die Züge mit 60 km/h inklusive Sicherheitszeiten den Bagger passieren.
Dass der Bahnbauspezialist solche Vorteile erkennt und für sich zu nutzen weiß, hat ihn zu einem Experten auf seinem Gebiet werden lassen. Insbesondere mit dem Bahnsteigbau hat sich der Mittelständler einen Namen erarbeitet. Seit 1990, als Albert Fischer sein Unternehmen gründete, konzentrierte man sich auf den Bau von Gleisen. Beim ersten Auftrag ging es um eine Bahn-Verladestation in Braunschweig, die neu überdacht werden musste. Die damalige Deutsche Bundesbahn war seinerzeit einer der ersten Kunden, den es nicht nur hinsichtlich der Qualität zu überzeugen galt, sondern auch dahin gehend, dass Aufträge auch wirklich zum vereinbarten Zeitpunkt abgeschlossen werden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wie beim Umschlagbahnhof Lehrte greifen bei der Albert Fischer GmbH häufig aus einer Hand Gleisbau, Abbruch, Bahnsteig-, Beton-, Hoch- und Erdbau ineinander – ein Unternehmen, das diese Fertigungstiefe mit rund 300 Mitarbeitern und 15 Auszubildenden in dieser Bandbreite und Kontinuität bietet, ist in Deutschland inzwischen selten geworden. Das hat auch die Oskar-Patzelt-Stiftung erkannt. 2019 erhielt Albert Fischer bereits zum sechsten Mal von ihr den begehrten „Großen Preis des Mittelstandes“ – quasi der „Oscar“ der deutschen Wirtschaft. Um die Auszeichnung zu erhalten, muss ein Unternehmen schon aus der Masse herausragen – mit der zukünftigen Schnellumschlaganlage in Lehrte kann Albert Fischer wieder glänzen.¬